AS AUFHALTEN DER APOKALYPSE: DER KATECHON UND DER GROSSE INQUISITOR

Abstract

In der neutestamentlichen literatur wird unter dem Terminus „Katechon“ die geschichtliche Macht verstanden, die, indem sie das Aufkommen des Antichrist aufhält, zugleich das darauf-folgende Ende der Welt oder die Apokalypse aufschiebt. Der theologische Kathechonbegriff ist von Carl Schmitt im 20. Jahrhundert reaktualisiert und zu einer Möglichkeitsbedingung der sich im Warten auf das zweite Kommen Christi verlaufenden Geschichte erhoben worden. Schmitt misst dem Katechonbegriff eine positive Rolle bei, weil er glaubt, dass dieser Begriff eine Zurückdrängung von bedenklichen anarchistischen und apokalyptischen Impulsen erlaubt und zugleich die Ausgestaltung des Christentums zu einer diesseitigen politischen Größe möglich macht. Mit der Lehre vom Katechon meldet sich aber auch die Gefahr, dass das Christentum den Mächten dieser Welt – vor allem der politischen Macht – preisgegeben werde. Das Ziel dieses Textes ist nachzuweisen, dass Dostoevskijs Legende vom Grossen Inquisitor eben diesen Problemkreis thematisiert. Die vom grossen Inquisitor gegebene Darstellung der Kirche weist alle charakteristische Merkmale eines „Katechon“ auf. Zugleich darf die Auffassung von der Freiheit und unendlicher Wert der menschlichen Person, die Dostoevskij den argumenten des Grossen Inquisitors entgegenstellt, als eine Antwort auf die schwierigkeiten, denen sich das Projekt eines radikal säkulariserten Christentums aussetzt, verstanden werden.